Thomas Schnura

geboren am 27.10.1956, 19:43

Hannover

 

 

 

(es soll ja Menschen geben, die das Datum interessiert. und dann rechnen sie herum und sagen mir hinterher, dass sie jetzt klarer sehen und ganz viel über mich wissen. Na ja, bitte sehr.)
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Was täglich geschieht:

 

 

 

 

Großes Mysterium, sagen sie. Aber ich sage das nicht. Ich nehme es nicht hin, dass irgendein großes Mysterium existieren soll. Ich anerkenne die Lebenskraft. Ich setze die Kraft gleich mit einem Körper, an dem sie sich beweist. Ich bin kein Mysterium, und nichts Mysteriöses ist über mir. Mir ist die Erde eigen. Ich mache die Dinge hier geschehen. Meine Gedanken, meine Handlungen. Alle Richtungen vereinen sich in mir, denn ich bin die Mitte.


  • 12.3.2007

 

 

Nach 8 Jahren, 3 Monaten, 2 Tagen, 1 Stunde und 40 Minuten bekomme ich Nachricht über meine Kinder. So lange habe ich nichts von ihnen gehört. Wer nichts davon versteht, sagt: Oh, das ist ja wunderbar. Ham Sie ne Ahnung...! Das ist auf Hochdeutsch gar nicht zu bewältigen.

In mir blüht ein subtropischer Urwald mit dem kuriosesten Sammelsurium an Gefühlen und den widersprüchlichsten Gedanken. Alles blüht auf, auch die Blumen des Bösen. Das wird noch sehr lange dauern, bist ich es in einer handhabbaren Form in mein Seelenleben integriert habe.

 

Böse

Um wahrhaft böse zu sein, muss man stark sein. Das aber sind die wenigsten Menschen. Was wir für böse halten, ist fast immer die Folge von Gedankenlosigkeit (Dummheit), Phantasielosigkeit und Gleichgültigkeit, die für irgendwen irgendwann unangenehme Folgen haben, und manchmal trifft es dummerweise mich. (ts) Tod und Teufel: Menschen, die keine wahre Überzeugung haben und Schwäche mit Glauben verwechseln...

 

  • Später

 

 

Ich habe Bilder von meinen Kindern gesehen. 8 Jahre mit ihnen hat man mir gestohlen. Es gibt Ereignisse, deren emotionale Konsequenzen sind unüberschaubar. All die Wut, die Verzweiflung war plötzlich für nichts, weil die Abfolge der Ereignisse darüber lacht? Nein, manche Wunden heilen nicht.

... Könnten doch alle Distanzen frei wählbar sein!

 

Die Katze I

Die Katze ist offensichtlich in der Lage, sich völlig zufrieden zu fühlen. Der Mensch, wesentlich reicher ausgestattet, sollte das nicht sein? Wegen seines Verstandes? Das ist kaum zu glauben. Der Verstand kann kein Hindernis sein, allenfalls der falsche Gebrauch des Verstandes. Wie aber ist dieses Werkzeug richtig zu gebrauchen? (ts)

 


  • 5.4.2007

 

 

Skizzen 1

Mitmenschen

Es ist so absehbar, was gesagt und getan werden wird. Bin ich nun Zyniker oder Realist oder spinne ich? Als ich mich das letzte Mal zutiefst wohl gefühlt habe, war das jedenfalls ohne jeden erkennbaren Grund.

Die Permanenz des Rauschens um mich her setzt mir manchmal erheblich zu. Kaum eine Möglichkeit, mich dem zu entziehen. Schon gar nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese Distanzlosigkeit ist eine Zumutung. Ich will an diesen Lebensoberflächen nicht teilhaben. (ts)

Es gibt Melodien und Lieder,
die bestimmte Rhythmen betreun,
die schlagen dein Inneres nieder
und du bist am Boden bis neun.

(Gottfried Benn)

 

  • 8.4.2007

 

Skizzen 2

Zeit

Heute sind alle Situationen vorbei, in denen ich glaubte, dass die Zeit nicht vergehen würde.
Heute sind fast alle Leben vorbei, in denen Menschen glaubten, die Leben würden in ihrer Qual nicht enden. (ts) 

 

Beten

Immer schon sterben Menschen, oft durch Gewalt. Nie wollten sie dies, und dann haben sie gebetet. Sie sind dann aber doch gestorben. Auch durch Gewalt. (ts)

 

 

  • 9.4.2007

 

Noch einmal über die Zeit, wie am 8.4.2007:

 

Erinnerung an Marie A. (Brecht, 1. Strophe)

An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

 

 

Über das Sich-Anpassen:

Cyrano de Bergerac, 2. Aufzug, 8. Auftritt:

Cyrano hat gerade das große Angebot seines Lebens (und das seiner Cascogner Kadetten) ausgeschlagen. Er erklärt seinem Freund Le Bret, warum er das getan hat. [Von mir bearbeitete Übersetzung]

 

Le Bret: Wenn's dir endlich glückt,
Jagst du Fortuna fort wie einen Hund.
Das ist ja Wahnsinn.
Cyrano: Gut, ich bin verrückt.
Le Bret: Aha!
Cyrano: Doch als Exempel und Prinzip
Erscheint mir dies Verrücktsein sehr vernünftig.
Le Bret: Nur deine tolle Händelsucht vertrieb
Bisher den Ruhm ...
Cyrano: Wie soll ich's halten künftig?
Mir einen mächtigen Patron entdecken
Und als gemeines Schlinggewächs dem Schaft,
An dem ich aufwärts will, die Rinde lecken?
Durch List empor mich ranken, nicht durch Kraft?
Nein, vielen Dank! Oder soll ich, wie so viele,
Ein Loblied singen auf gefüllte Taschen,
Soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen,
Indem ich seinen Narren spiele?
Nein, vielen Dank! Oder soll ich Kröten schlucken,
Auf allen vieren kriechen, gleich dem Vieh,
Durch Rutschen wund mir scheuern meine Knie,
Kreuzschmerzen leiden durch beständ'ges Ducken?
Nein, vielen Dank! Soll ich einem Schäfchen gleichen,
Um selbst mir eins ins Trockene zu bringen?
Soll Honig streun, um Zucker einzustreichen?
Und unermüdlich Weihrauchfässer schwingen?
Nein, vielen Dank! Soll ich als lust'ger Zeitvertreiber
Nach großem Ruhm in kleinem Kreise spähn,
Damit sich von den Seufzern alter Weiber
Des Dichterschiffleins schlaffe Segel blähn?
Nein, vielen Dank! Für meine Verse dem Verleger,
Der sie mir druckt, bezahlen runde Summen?
Nein, vielen Dank! In der Verbrüderung der Dummen
Gefeiert werden als der Bannerträger?
Ein einziges Sonett wie ein Hausierer
Vorzeigen, statt noch andre zu verfassen?
Niemand talentvoll nennen als die Schmierer?
Vor jedem Literatenklatsch erblassen
Und eifrig forschen: Werd ich anerkannt?
Hat der und jener lobend mich genannt?
Nein, vielen Dank! Stets rechnen, stets Besorgnis zeigen,
Lieber Besuche machen als Gedichte,
Bittschriften schreiben, Hintertreppen steigen?
Nein, vielen Dank, nein, vielen Dank, nein, vielen Dank! –
Doch im Lichte
Der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen,
Mit fester Stimme, klarem Falkenblick,
Den Schlapphut übermütig im Genick,
Und je nach Laune reimen oder raufen!
Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt,
Nicht achtend Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge
Arbeiten an der Reise nach dem Mond
Und insgeheim sich sagen: Lieber Junge,
Freu dich an Blumen, Früchten, selbst an Blättern,
Die du von deinem eignen Beet gepflückt!
Wenn dann vielleicht bescheidner Sieg dir glückt,
Dann mußt du nicht ihn teilen mit den Vettern;
Dann darfst du König sein in deinem Reiche,
Statt zu schmarotzen, und dein Schicksal sei,
Wenn du der Buche nachstehst und der Eiche,
Nicht hoch zu wachsen, aber schlank und frei.

 

Skizzen 3

Der kleine König spricht
Eine im Grunde belustigende Dämlichkeit: je länger ich die Rederei des Königs ansehe, desto dämlicher kuckt sie zurück. Als ob mein Blick sie unter Druck setzte, der ihr dann die zyanotisch werdende Zunge zum hochroten Gesicht herausdrückte. Belustigend aber, weil ja solch Dummes permanent passiert, hier und da, es aber nur unter seltenem Hinsehen die Contenance verliert, was folglich beschlossene Sache ist. (ts)

 


  • 19.4.2007

 

Nachdenken über die beiden wichtigsten Werte: Effizienz und Erbarmen. Effizienz: was funtioniert, davon mehr, was nicht funktionoiert, über Bord werfen. Erbarmen: weil wir es nötig haben.

 

Die Katze II

Ist der Verstand eine Waffe? Er kann es sein, aber es kommt mir vor, als erfüllte er damit das Kriterium: geheimes Wissen, offensichtlich unverständlich. Es ist offenbar und doch geheim. Wissen, das sich selber schützt. Das weist auf die Möglichkeit falschen Gebrauches hin, der aber nicht zu fürchten ist:

"... dass man es zwar sehen, aber dennoch nicht verstehen konnte. Man kann diese geheimen Techniken aufschreiben und veröffentlichen, und das geschieht auch, denn wer das Verständnis für die Schritte nicht hat, die man gehen muss, um sie zu erlernen, kann nichts damit anfangen. Sie sind bis zu einem gewissen Grad hermetisch durch sich selbst geschützt gegen Missbrauch. Und wer sich auf den Weg macht, die Geheimnisse zu erschließen, verlässt dabei einen Pfad, auf dem ein Missbrauch überhaupg denkbar ist..." (Zorn, ts, 2007)

 

  • 13.5.2007

 

Warum ich Wälder liebe:

  • weil in ihnen das Unsagbare geschehen kann, das, was nie an die Öffentlichkeit gehört;
  • weil sie vor den neugierigen Blicken dessen, der nebenan geht, verbergen, und wenn er doch findet, dann muss er gesucht haben und ist somit zum Stillsein verurteilt;
  • weil sie allem Wildwuchs jeden Raum bieten;
  • und weil ich von ihren Rändern aus ungesehen die Ebene überblicke.

 

 

Alles geben die Götter, die Unendlichen, ihren Lieblingen ganz,
alle Freuden, die Unendlichen,
alle Schmerzen, die Unendlichen, ganz.

(Johann Wolfgang v. Goethe)


  • 17.5.2007

 

"Wir sind diejenigen, die von uns gesagt haben werden: so will ich sein." (Husserl)

Es ist kurios, zu erleben, wie ich dreimal Anlauf nehme, einen Satz zu verstehen, und zweimal stolpere und gegen die Wand laufe, ehe mir klar wird: dies ist ein schlüssiger Beweis für den Konstruktivismus. Ich bin der Schöpfer meiner selbst.

"... die gesagt haben werden": wann ist das? In zehn Jahren? Oder heute? Ist es schon geschehn? Edmund Husserl jedenfalls lebte bis 1938. Ist also schon längst geschehen.

 

  • 23.5.2007

 

Unkraut

... und obwohl es irgendwie krank, schwächlich und verwachsen aussah zwischen den Bahngleisen, wuchs es doch unter denkbar ungünstigen Bedingungen und breitete sich auch noch aus. So erwuchs ein elendes, ungutes Geschlecht und verwucherte den Grund. ... (ts)

 

  • 26.5.07

 

Schmerz und Distanz

1. Versuch: Die institutionalisierte und funktionalisierte Distanz eines dauerhaften, irreversiblen Schmerzes: er ist nicht mehr recht zu erkennen, weil die Distanz zum Standard verkommt.

2. Versuch: Die distanzerzeugende Kraft eines dauerhaften und irreversiblen Schmerzes: es ist unmöglich, sich des Schmerzes zu erinnern, er wird im Sprechen institutionalisiert und funktionalisiert, also irreal. Der Schmerz ist nur noch unsicher zu erkennen, weil die Distanz, die er dem ahnunglosen Anderen gegenüber erzeugt, zum Standard verkommt. Schmerz macht einsam.

3. Versuch: Wiederholt vom Schmerz des Verlustes gesprochen. Merke, wie ich damit in eine unnennbare Distanz gerate. (ts)

Schmerzen. Schmerzen kriechen den Bauch hoch und werden schwer im Hängen. (Jandl)

 

 

GOTT HÖR ...

Um meine Augen zieht die Nacht sich
Wie ein Ring zusammen.
Mein Puls verwandelte das Blut in Flammen
Und doch war alles grau und kalt um mich.

O Gott und bei lebendigem Tage,
Träum ich vom Tod.
Im Wasser trink ich ihn und würge ihn im Brot.
Für meine Traurigkeit gibt es kein Maß auf deiner Waage.

Gott hör ... In deiner blauen Lieblingsfarbe
Sang ich das Lied von deines Himmels Dach –
Und weckte doch in deinem ewigen Hauche nicht den Tag.
Mein Herz schämt sich vor dir fast seiner tauben Narbe.

Wo ende ich? – O Gott!! Denn in die Sterne,
Auch in den Mond sah ich, in alle deiner Früchte Tal.
Der rote Wein wird schon in seiner Beere schal ...
Und überall – die Bitternis – in jedem Kerne.

(Else Lasker-Schüler)


  • 1.6.07

 

Für alle, die den rechten Glauben haben:

  • Gegenüber Manitou, Wakan Tanka, Shiva, Thor, Zeus oder Jupiter bist auch Du Atheist. Warum sollte jetzt Dein Gott der Richtige sein?
  • Die heiligen Bücher anderer Kulturen und Religionen fordern andere Rituale, Haltungen und Handlungen. Warum sollten Deine die Richtigen sein?
  • Der Gott des Alten Testaments ist eine der unangenehmsten Persönlichkeiten des Literaturgeschichte: eifersüchtig, machtgeil, monoman, feindselig gegen die Vernunft, ein Kindermörder, Schwulenhasser und Rassist. Der ist also nicht der Deine. Wieso aber der des Neuen Testaments? Und nicht der aus dem Buche Baphomet?
  • Alle, die nicht Deines glauben oder geglaubt haben, die anderes oder nichts glaubten, all die vielen Milliarden täuschen sich? Warum nicht Du?
  • Religion lässt sich nicht weitertragen wie eine Kette: sie verändert sich im Zuge ihrer Tradierung, passt sich an, entwickelt sich fort, so wie sie die Welt verändert. Sie ist also relativ zu Zeit, Mensch und Kultur. Und Du glaubst, Du bist, jetzt aber wirklich, im Besitze der Wahrheit?
  • Die wahren Verbündeten eines Samurai sind nicht die Götter, sondern es ist der Tod.


„... der Mensch hat nicht Natur, sondern er hat Geschichte. Der Mensch ist kein Ding, sondern ein Drama. Aber der Mensch muss nicht nur sich selbst schaffen, sondern das Schwierigste, was er tun muss, ist entscheiden, was er will. Ob als Original oder Plagiator, der Mensch ist der Romandichter seiner selbst. Unter diesen Möglichkeiten hat er die Wahl. Infolgedessen ist er frei. Aber wohlverstanden, er ist frei aus Zwang, ob er will oder nicht.

José Ortega y. Gasset, 1952, Geschichte als System

 

Der Mensch hat also nicht Natur? Wie verhält es sich mit seiner Konstitution, für die er nicht verantwortlich ist? Es ist die Frage: Wo ist die Grenze zwischen Wesen und Verhalten? Dabei definiere ich Wesen als das uns Angeborene, mit dem wir uns alternativlos abfinden müssen, und Verhalten als alles, was ich denke, tue und fühle, das also immer relativ ist zu den Gegebenheiten meiner Zeit und Kultur und damit Alternativen besitzt, selbst wenn sie nur theoretisch sind.

"... Mein „wahres Wesen“ eben, wobei ich nicht behaupten will, ich wüsste, wie wir das beschreiben könnten. Wir wissen zur Zeit nicht einmal, welche unserer Wesenszüge angeboren und welche das Ergebnis unserer Erziehung sind. Um das zu erläutern, drei Fragen:

  1. Kann man musikalische Begabung und damit verbundene Vorlieben anerziehen? Oder mathematische Intelligenz? Sprachliche Intelligenz? Zweifellos nein. In der Debatte darüber, was Intelligenz ist, werden bis zu sieben Arten von Intelligenz unterschieden, die wir zum Teil auch als Begabung bezeichnen und für angeboren halten, auch wenn sie gefördert und ausgebildet werden können durch Angebote und Erziehung.
  2. Ist die Neigung zur Sucht angeboren? Wir wissen es nicht. Auch wenn wir sagen, die Veranlagung zur Sucht (Alkohol-, Zigarettensucht) bringen wir mit, so haben wir doch keine Ahnung, ob es ein schicksalhaft determinierendes oder auch nur biologisch disponierendes Sucht-Gen gibt oder ob es sich nicht doch nur um soziales Lernen oder das Ergebnis von Erziehung handelt. Wir können die Relation, das Verhältnis von genetischer Veranlagung und Erziehung zueinander nicht präzise bestimmen, können nicht endgültig und mit Sicherheit beschreiben, welchen Einfluss welcher Faktor jeweils hat. Was uns der einzelne Wissenschaftler erklärt, ist von seiner wissenschaftlichen Sichtweise beeinflusst.
  3. Kann man das Verhältnis zur Ordnung oder zur Höflichkeit durch die Erziehung beeinflussen? Sicherlich, und zwar positiv wie negativ. Die Erziehung und die Kultur spielen hier eine entscheidende Rolle: wie sieht höfliches Verhalten aus, wie ordentlich ist ordentlich?

Anders gesagt: die Grenze zwischen dem wie auch immer angeborenen Wesen und dem erlernten Verhalten ist unklar."

(ts, Durch die Wachhölle der Eifersucht)

 

  • 3.6.07

 

Nachdem ich durch die Hölle gegangen bin, fürchte ich gar nichts mehr. Das ist für diejenigen, die die Hölle nicht kennen, schwer zu verstehen. Die Konsequenzen sind nicht überschaubar. Man wird gefährlich, weil es keine Gefahr mehr gibt. Es ist von vornherein klar, wie das Spiel ausgehen wird, und was soll nun daran noch furchtbar sein!

 

  • 7.6.07

 

Weil ja doch der eine oder andere sich fragen könnte,
und weil ich während der Zugfahrt immer wieder dran gedacht habe,
und weil ich mich von der Frage herausgefordert fühle,
und weil ich es auch selbst formulieren will:

Unwillig, eine Autorität außerhalb anzubeten, habe ich mich einer
schwierigeren Autorität innerhalb verschrieben: der Verantwortlichkeit.

 

Nicht alle Schmerzen sind heilbar


Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.

Ricarda Huch

 

  • 24.6.07

 

Skizzen 4

Ästhetik

Schmallippige Kotabsetzer in schlechter Verfassung: nicht gerade ein erfreulicher Anblick. Warum tut denn keiner was? Und wer? Kann sich denn dieser schlampige Jammer immer nur gehen lassen?

Es ist nicht eine Frage der Genetik. Ab 40 ist der Mensch für sein Gesicht selbst verantwortlich.


Beschreiben

Ein Ding beschreiben heißt, die Aufmerksamkeit auf einen Teilaspekt des Dinges richten, und sei es auf seinen beschreibbaren. Je komplexer das Ding ist, um so fragmentarischer ist das beschreibende Wissen, das wir darüber haben.

Medien
Den Medien wird auch weiterhin die Hirnjauche enteitern, die man schon aus dem letzten Jahrhundert kennt: "Diese Szene noch einmal in Zeitlupe; rechts die Hand mit der Waffe." Sie werden sich auch weiterhin nicht entblöden, dem letztklassigen IQ-80-Surrogat den Rotz vom Stiefel zu lecken, den dieses dorthin fallen lässt. An der Grenze zwischen Hirnschwurbel, Fleischwurst, prickelnder Geisteskrätze und intellektueller Pest evozieren sie eine Verblödung, die schlechtere Zeiten ahnen lässt.


  • 28.6.07

 

Aber die Neigung, sich eine Gefolgschaft um den Preis geistiger Nachgiebigkeit zu erhalten, besteht nicht. (Karl Kraus)

 

Einer Idee ist weit mehr gedient, wenn sie nicht so gefaßt ist, daß sie den geraden Weg durch die Massen nehmen kann. Nimmt sie ihn nur durch das Hindernis einer Persönlichkeit, so kommt sie weiter, als wenn sie sich populär macht. Es beweist mehr für ihre Tragfähigkeit, daß sie ein Kunstwerk erzeugen kann, als daß sie in der schmucksten Hülle eines Tendenzwerks zu unmittelbarer Wirkung gelangt. - Was leicht ins Ohr geht, geht leicht hinaus. Was schwer ins Ohr geht, geht schwer hinaus. Das gilt vom Schreiben noch mehr als vom Musikmachen. - Ich aber glaube, daß im Kunstwerk aufgespart ist, was die Unmittelbarkeit geistiger Energien vergeudet. Nicht die erste, die letzte Wirkung der Kunst ist Menschlichkeit. Goethes Menschlichkeit ist eine Fernwirkung. Sterne gibt es, die nicht gesehen werden, solange sie sind. Ihr Licht hat einen weiten Weg, und längst erloschen leuchten sie der Erde. - Der Künstler steht ohne Anteil am Kampf. Er ist kein Mitgeher. Seine Sache ist es nicht, mit der Gegenwart zu gehen, da es doch Sache der Zukunft ist, mit ihm zu gehen. (Karl Kraus)

 

 

  • 5.7.07

 

... könnten doch alle Distanzen frei wählbar sein und alle Sinne verschließbar wie das Auge ...

 

 

 

  • 1.8.07

 

Skizzen 5

Wenn wir große Gefühle haben, Freude oder Trauer, Wut, Angst oder Lust, kommen wir uns bedeutend vor. Wir sind es nicht mehr als alle anderen Menschen vor uns. Aber sie sind erloschen sie sind erloschen und man sieht sie nicht mehr.

 

  • 18.8.07

 

und immer noch sind meine Kinder Sina-Tabea und Till-Adrian fort. Acht Jahre, acht Monate und acht Tage. Dreimal die Unendlichkeit.

... O unerhörte Möglichkeit der Welt,
die nicht dem Chaos in die Arme fällt,
die so ermüdet, weiter dazu singt
und so erschüttert, nicht in Splitter springt!
Unschuldig ist der Tänzer, schuld die Zeit,
nicht zu vergehn bei solcher Lustbarkeit!
Die Nacht entflieht vor solchem Solotanz,
doch wird es Tag und solch ein Tag bleibt ganz.
Und er hat Stunden. Keine aber weckt
das Leben zum Gebet und keine schreckt
die Sünde, keine mahnt und keine klagt
und keine dumpf ihr vivos voco sagt
und keine Glocke weint ihr mortuos plango.
Das Leben starb. Die Mörder tanzen Tango.

[Die Fackel: Nr. 386, 29.10.1913, 15. Jg.. DB Sonderband: Die Fackel 1899-1936, S. 18761
(vgl. Fackel Nr. 386, S. 24)]


  • 24.8.07

 

Gefühle 1

Teil die Gefühle mit, die du zu lindern wünschst, und du wirst erfahren, dass es einen unerwünschten Unterschied macht: sie blühen auf. Geteiltes Leid sei halbes Leid? Nein, wirklich nicht. Es verdoppelt sich, wie nach einer Zellteilung des Bösen, und du trägst die Last allein.

Allerdings: ich klage nicht darüber. Ich staune nur, dass mir das erst so spät klar geworden ist.

 

  • 26.8.07

 

Gefühle 2

Wenn wir große Gefühle haben, so schrieb ich, Freunde oder Trauer, Wut, Angst oder Freude, kommen wir uns bedeutend vor. Für manche Menschen geht das offenbar so weit, dass sie ihre großen Gefühle hegen und pflegen, auch wenn sie in die Kategorie ihrer so genannten negativen Gefühle gehören: "Mein Vater ist gestorben, ich weine jeden Tag um ihn..." Dieses Gefühl wird beibehalten, und wenn wir versuchen sollten, zu verstehen, warum das so ist, so kommen wir auf diese Antwort: weil sie sich so ihrer Existenz versichern. An dem Schmerz, an dem Verlust reiben sie, den kratzen sie auf wie eine frisch verheilte Wunde, an dem lecken sie und schmecken das Salz ihrer Tränen. Und so haben wir, wenn wir schon sonst nichts haben, wenigstens die Kriegsverletzung, das zerschossene Herz, das verwirrte Gehirn, die blutigen Tränen, die aufgekratzten Arme und ausgekratzten Augen. Narben aus dem Krieg sind heroischer als Narben von Pickeln. "Sie sind aber letztlich nicht mehr." - "Nicht?" - "Na, dann lies doch mal:

Bergbau und Reinkarnation

Der Spiegel, 5/2002, Seite 141: „1520: Im Tiroler Erzbergbau sind etwa 50.000 Menschen beschäftigt.“ 50.000 unter Tage verreckende Schicksale von 50.000 Menschen, die sich von dir und mir nicht unterscheiden. Gleiches Gehirn, gleiche Installation, Körper, Seele, Geist.

Und die hatten auch ihre Verluste, ihren Schmerz und ihren Tod." - "Und, was ist das, Krieg oder Pickel?" - "Das sind Pickel." - "Aber dann ist doch aller Schmerz sinnlos!" - "Das sagte ich doch."

 

  • 27.8.07

 

Zeit / Fragment

... und dann haben wir die Erlaubnis, wider Erwarten, und dann fangen wir an, ganz vorsichtig zuerst, behutsam fast, die Zeiger der Uhr zurückzustellen, zunächst nur im Sekundentakt, dann in Minuten und schließlich in Stunden, langsam, schneller nicht, dass wir den Überblick nicht verlieren. Der Engel der Barmherzigkeit sitzt uns auf, er achtet auf die kleinen Regungen, auf die Schritte, die uns dem Abgrund Schritt für Schritt näherbringen, und den ersten, von sich aus gesehen den letzten versetzt er um ein winziges Stück, wir merken es kaum, und er lässt uns dann frei. Jetzt stimmt die Richtung, diesmal wird es gutgehen. Diesmal werden wir alle überleben, und am Ende werden wir uns nur fühlen, als hätten wir in heißer Sommernacht im zu kalten Wasser eines Fjords gebadet: fröstelig, aber wohlgemut und in Vorfreude auf einen ruhigen Abend unter Freunden.

history is an angel
being blown backwards into the future
history is a pile of debris
and the angel wants to go back
to fix things
to repair the things that have been broken
but there is a storm
blowing
from paradise
and this storm keeps blowing the angel
backwards into the future
and this storm
this storm is called progress

X

Und dann stellen wir erschüttert und voll Entsetzen fest: es war ein Irrtum. Nur geträumt. Die Verschollenen bleiben verloren, die Toten tot, die Zerschlagenen sind hin für alle Zeit und kommen nicht zurück. Nichts dergleichen wird geschehen. Kein irdisches Schiff wird kommen. Die Freunde sind taub geworden, der Fjord hat steile Wände, und Benjamins Engel sind ausgegangen.

 

  • 31.8.07

 

Skizzen 6

Reden

Es ist bemerkenswert, manchmal erschütternd, wie sinnlos das miteinander Reden über die eigenen Zustände und Empfindungen sein kann: "Du hast mir weh getan." Das ist die konsequenzlose Abgabe von Informationen über den Zustand des Sprechers in der Hoffnung, der Angesprochene möge etwas einsehen und ändern, die aber letztlich nicht mehr bewirkt, als den Standpunkt des Anderen argumentativ zu verfestigen: "Das habe ich getan, weil..." Ich frage mich, ob es irgendjemand schon einmal erlebt hat, dass Reden zu einer nachhaltigen Veränderung des Angesprochenen geführt hat. Ich vermute, nicht. Und schon gar nicht, wenn das Reden die Form des aufeinander Einredens hat: das führt geradezu zum Gegenteil des Gewünschten.

Zumeist besteht dieses Reden darin, dass einer sagen möchte, was er denkt. Zumeist interessiert das niemanden von denen, die es seiner Meinung nach interessieren sollte. Die anderen denken etwas anderes und haben gute Gründe dafür, und die sollen bitte ebenfalls gesehen werden. An dieser Stelle ist das Gespräch vorbei.

Warum ich das dann hier schreibe? Ich wollt's halt mal loswerden. Aber diesen Zweck immerhin erfüllt das Sprechen: es bleibt das Gefühl, es wenigstens einmal ausgesprochen zu haben.

Hier kannst du in Menschen ertrinken, kannst in ihrer Menge ersticken, kannst in der menschlichen Wüste verschwinden; schau – die Menschen werden dich, während sie den Tee umrühren, von Nichtigkeiten reden und in den Zähnen stochern, in Stücke reißen, ohne es zu wollen, sie werden deine Leiche ein wenig hin und her stupsen und Tee aus ihr machen, wenn sie ein wenig gezogen hat, und du wirst zu einer haarlosen, ausgesessenen Puppe werden, zu einem Lappen, zu einer gelben Kinderrassel und zu einem kleinen Misthäuflein, unter schmutzigen Tränen verlassen. Nichts davon erschüttert die Welt.

 

  • 8.9.07

 

Ich warf alles nach jedem. Wann kommt die Flut.

 

  • 9.9.07

 

Skizzen 7

Wissen

Der ausschließliche oder auch nur bevorzugte Erwerb von verwertbarem Wissen ist es, der Menschen bei aller Bildung dumm macht, wobei sie glauben, Wissen zu besitzen; dabei besitzt dieses sie. Es ist das, was wir erwartet haben oder sowieso und immer schon wussten. Das überflüssige, das nutzlose Wissen aber, das, was darüber hinaus geht, das Zuviel an Wissen und Schmerz und Erfahrung, das, was uns zunächst ratlos zurücklässt, das macht uns am Ende klug und vielleicht sogar weise.

 

 

  • 15.9.07

 

Gefühle 3

Sogar allein die Nähe zu großen Gefühlen, vor allem zu Unglück und Tod, verleiht Bedeutung: ich war dabei, ich hab's gesehen, ich kennen jemanden, der es gesehen und überlebt hat.

Wie es aussieht, befriedigt "eine viertel Stunde ein Star" sein (Andy Warhol) ein fundamentales Bedürfnis: das nach Bedeutung. Nicht ein Star zu sein ist wichtig, sondern sich sicher zu sein, dass man lebt, und aus dem Gefühl der Katastrophe heraus, aus dieser Rückversicherung heraus noch sicherer zu spüren, dass man immer noch am Leben ist.

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Die Erinnerung, die unabweisbare Erinnerung, die kleinen Gesten, der niemals mehr übermalte Blick, der ewige Augenblick... Verlorene Kinder.

 

  • 22.9.07

 

Skizzen 8

Seine Spezialstrecke bestand darin, auch in Wohnungen seine Mütze aufzubehalten, eine schäbige Mütze im Stile einer Mao-Mütze. Seine Haltung war schlaff, sein Gesichtsausdruck war jämmerlich, seine Sprache schlabberig und seltsam unartikuliert. Das war sein Leben. So sah es aus.

 

  • 23.9.07

 

Skizzen 9

Im Haus eines Sterbenden

Jahrzehntelang, so wurde mir berichtet, hatte er seine Familie mit seiner esoterischen, rechthaberischen, an Wahnsinn grenzenden Großspurigkeit zur Verzweiflung getrieben, in der er unwiderlegbar, mit dem Tremor der tiefinneren Überzeugung und mit erhobenem Zeigefinger behauptete, er werde ganz allein bestimmen, wie und wann er sterben werde. Er hatte geredet, die andern mussten schweigen. Nun begann also das Sterben, röchelnd und von hunderttausenden von Zigaretten verteert, sein Wahnsinn hatte sich potenziert und tat es weiterhin, aber das merkte er nun nicht mehr. Das Sterben war langwierig, feucht und ranzig, ohne jeden Plan ein Rückzug seines Verstandes und seiner körperlichen und stimmlichen Kraft, ein elendes Verrecken bar jeder Würde. Er roch schon. Die Haut und der Geist verwarzte, die Worte gingen aus und wurden endgültig bedeutungslos, aus einigen Resten erahnte man die Meinung, und erschütternde Tatsache war, dass nichts auf der Welt sicherstellen konnte, dass man nicht selbst schon längst in diesen Spuren wandelte, ebenfalls ohne es zu ahnen.

Was also war zu tun, wie sollte es Vergütung geben für jahrelangen Terrorismus, für laut und rücksichtslos sein, nun, da der Sterbende durch nachlassende Kraft an Satisfaktionsfähigkeit verlor? Es war zum Verzweifeln. Keinerlei Vergeltung. Ungestraft kann offensichtlich diesseits der Grenze jeder Sprechfähige jeden Unfug behaupten, mit dem sich auseinander zu setzen wegen der lauthalsen Art kaum zu vermeiden ist, und hinterher muss man auch noch akzeptieren, dass der Lautsprecher zu bitter letzt behaupten kann, es nicht so gemeint zu haben. Oder er erinnert sich gleich gar nicht mehr.

 

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Die Bäume

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.

Franz Kafka

 

  • 28.9.07

 

Oder ist das dann doch zu pietätlos, so vom Sterben zu sprechen? Geht das zu sehr an die Nieren? Sollte man so etwas nicht schreiben? Ist das geschmacklos? Gehört sich das nicht? Aber es steht doch uns allen bevor? Wie also sollte das dann aussehen, Freunde? Ist das nicht vorsätzlich auf schwarzem Grund geschrieben? Entzeiht es sich nicht vorsätzlich der leichten Lesbarkeit? Sollte es sanfter, zarter, nachgiebiger und verzeihender ausfallen? War nicht allein die Forderung nach Satisfaktionsfähigkeit schon eigentlich eine Frechheit und der Beweis der sittlichen Unreife? de mortuis nil nisi bene, heißt es, über die Toten nur Gutes. Gilt das für jeden? Was würde hier wohl stehen, wenn ein Gästebuch offen daliegen würde? Ich höre Dein Schimpfen. Ich höre es, sei beruhigt. Ich weiß, Du magst das alles nicht. Ich wollte Dich auch nicht kränken. Lies jetzt nicht mehr weiter. Halt ein.

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Gefühle 4

Gefühle seien der Motor der Welt, sagte mir jemand, der glaubte, es zu wissen. Eigenartig. Welche denn nur? Unsere? Oder die der ganz anderen Menschen, deren besonderes Menschsein wir nicht erkennen und nicht einmal im Ansatz verstehen, da sie uns so fremd sind auf ihren fremden Kontinenten? Immer wieder dieses Bedürfnis, der Mittelpunkt der Welt zu sein. Was soll denn an meinen Gefühlen so wichtig sein für die Welt? Ich habe sie, sie halten mich in Bewegung, ja, aber dann ist es doch auch schon wieder gut. Am End war's einerlei.

"Ja, aber Thomas, ganz am Anfang sagst Du doch selber: Alle Richtungen vereinen sich in mir, denn ich bin die Mitte. Da widersprichst Du Dir doch selbst."

"Nein, das tue ich nicht. Ich sagte nicht, ich sei der Mittelpunkt, ich sagte: ich bin die Mitte."

"Jetzt wirst Du aber kleinlich."

"Ja."

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Ist diese Leere, die ein Lebender nur unter größten Schwierigkeiten erreicht, der vollkommene Ausdruck eines Geistes, der das Denken und die Ideen hinter sich gelassen hat? Der Geist allein ist eins, klar und ungerührt eins mit dem Universum wie der Widerschein des Mondes auf einem Teich, während ringsumher ein Taifun wütet. ... Die Leere schien Äonen zu währen, doch in Wirklichkeit war es nur die Zeitspanne, die es braucht, dass ein halbes Dutzend Wellen kommen und sich zurückziehen. Die kleinen Fische, die sich den Wellen überlassen, tanzen und spielen, doch wer kennt die Seele des Meeres, hundert Fuß unten? Wer kennt seine Tiefe? (Miyamoto Musashi, 1584 - 1645)

 

 

  • 28.9.07

 

Bericht eines Schiffbrüchigen

Als das Schiff brüchig war
Ging ich in die Wasser. Des Wassers Gewalt
Warf mich auf einen kalten Steinbrocken.
Ich war von Sinnen alsbald.
Währenddem ging meine Welt unter. Zwar
Als ich aufwachte, mein Haar
War schon trocken.

Ich aß aus Muscheln einiges
Und schlief in einem Baum
Drei Tage, die beste Zeit
Und weil ich hatte nichts als Raum
Ging ich weit.

Der Anblick war mir ungewohnt.
Ich berührte nichts mit meiner Hand.
Nach dreien Nächten habe ich den Mond
Wieder erkannt.

Ich hängte ein Tuch in einen Baum
Und stand daneben
Einmal einen Tag und eine Nacht.
Das Wasser war ruhig.
In meinem Tuch war kein Hauch
Es kam kein Schiff
Es gab keine Vögel.

Später sah ich auch Schiffe
Fünfmal sah ich Segel
Dreimal Rauch.

Berthold Brecht

 

  • 29.9.07

 

Worin besteht die Erleuchtung? - Im Heimkommen und Ausruhen.

 

  • 1.10.07

 

"Wir sind diejenigen, die von uns gesagt haben werden: so will ich sein." (Husserl)

Dies, so schrieb ich, ist ein schlüssiger Beweis für den Konstruktivismus. Ich bin der Schöpfer meiner selbst.

Und: "... die gesagt haben werden": wann ist das? In zehn Jahren? Oder heute? Ist es schon geschehn?

Oder meint dieser Satz diese Art von nachträglichem Gehorsam, in der ich sage, "so wollte ich ja sowieso sein", da ich keine Wahl hatte? Hinterher hat man's vorher schon gewollt? Er ist im Indikativ geschrieben, nicht im Optativ.

 

  • 3.10.07

 

Was das Leben in den Köpfen der Menschen anrichtet, ist eine ekelhafte Schweinerei, die die Menschen zwingt, diese Schweinerei fortwährend zu wiederholen. So tun sie sich an, was das Leben aus ihnen gemacht hat. NonameLi

 

  • 12.10.07

 

"Ich behaupte, wenn es Menschen gäbe, die wirklich zu der Einsicht durchbrächen, daß sie die Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit sind, würden diese Menschen sich durch drei besondere Eigenschaften auszeichnen. Wie wären erstens frei, denn wer weiß, daß er sich seine eigene Wirklichkeit schafft, kann sie jederzeit auch anders schaffen, Zweitens wäre dieser Mensch im tiefsten ethischen Sinn verantwortlich, denn wer tatsächlich begriffen hat, daß er der Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit ist, dem steht das bequeme Ausweichen in Sachzwänge und in die Schuld des anderen nicht mehr offen. Und drittens wäre ein solcher Mensch im tiefsten Sinne konziliant." (Watzlawick, Ist die Wirklichkeit wirklich wirklich?)

 

  • 24.10.07

 

Die Wahrheit ist aber: Das Leben ist hart und gefährlich. Wer nach seinem eigenen Glück sucht, findet es nicht. Wer schwach ist, muß leiden. Wer nach Liebe verlangt, wird enttäuscht werden. Wer nach Frieden strebt, wird Streit finden. Wahrheit ist nur für die Unerschrockenen, Freude ist nur für den, der sich nicht fürchtet, allein zu sein. Leben ist nur für den, der sich nicht fürchtet, zu sterben.

Joyce Carry

  • 26.10.07

 

Skizzen 10

Vor mir ein Ehepaar steht an der engsten Stelle des Weges. Auf sie zu kommend: ich. Hinter mir drei oder vier andere. Das Ehepaar beschließt nun, weiterzugehen und geht uns entgegen. Sie, vorme gehend, dreht sich halb zu ihrem Mann um und murmelt: "Es ist eng hier:"

Achtzig Prozent der Frauen sollen darüber klagen, dass ihre Männer Kommunikationsverweigerer sind. Aber siehe, selbst das ist nur scheinbar.

 

  • 3.11.07

 

Skizzen 11

Affektionen sind das, was die Dinge (und Menschen (ts)) uns antun in der Begegnung (Spinoza). Aber da sie uns ja nichts antun, da sie uns ja nicht an sich beunruhigen, sondern nur die Meinungen, die wir über die Dinge haben (Epiktet), ja, da die Dinge nicht einmal ein Interesse an uns haben, sondern uns in zärtlicher Gleichgültigkeit (Camus) gegenüberstehen, ist es letzten Endes die Begegnung mit uns selbst, die uns begeistert, erschreckt, ängstigt, erzürnt und erzittern lässt (ts). Was aber ist so Reichhaltiges in uns verborgen, dass wir beim Blick in die Tiefe immer aufs neue erschüttert, fasziniert, mindestens aber berührt sind? So betrachtet existiert Mangel nicht wirklich. tat twam asi: ich bin das. (Allerdings existiert Gewalt, das weiß ich.)

 

Skizzen 12

Kann ich mein Leid bis zum Abend aushalten, so kann ich es aushalten. Kann ich es ohne den Verlust des Lebens ertragen, so kann ich es ohne Verlust ertragen. Was immer ich opfere, opfere ich und es steht mir frei. Alles andere ist ein Spiel, nicht die Wahrheit. Wäre es die Wahrheit, so stürbe ich.

 

  • 11.11.07

 

Fünfzehn Zeichen, die andeuten, dass ein Mensch lügt. Die meisten sind nicht zu kontrollieren, und dem aufmerksamen Beobachter wird der Versuch der Kontrolle des Verhaltens als eine Verhaltensänderung oder als eine Art Verkrampfung auffallen:

  1. Meidung von Augenkontakt zum Gesprächspartner
  2. Verschränken der Arme
  3. Arme und Beine werden weniger bewegt
  4. Kratzen im Gesicht, häufig an der Nase
  5. Veränderung der Gesichtsfarbe, meist rotes Gesicht
  6. Lippen lecken
  7. Übertreiben mimischer oder gestischer Ausdrücke (meist im Gesicht, dazu gehören auch die entstehenden Falten an der Stirn)
  8. Verminderung der Augenbewegungen
  9. Beschleunigung des Liedschlages, die Augen bleiben beim Blinzeln länger geschlossen
  10. Vergrößerung der Pupillen, Mydriasis
  11. Handflächen nach außen drehen
  12. Veränderungen des Sprechverhaltens
  13. Veränderung der Tonlage der Stimme, meist höhere Tonlage
  14. Inkongruenz von Worten und Mimik (z. B. Nein sagen und dabei Nicken)
  15. Augen bewegen sich nach rechts oben oder in der Mitte nach rechts bei Rechtshändern: Bei linkshändigen Personen ist es umgekehrt.

  • 13.11.2007

Du selbst bist schon in Ordnung. Deine Bewertungen leiten Dich in die Irre.

  • 18.11.2007

 

Skizzen 13

Es ist erstaunlich, wie viele Menschen auf den Untergang der Welt warten. Schon immer waren es viele, seit den Babylonischen Schriftrollen bis heute. Noch nie haben sie irgend eine Konsequenz daraus gezogen, dass all die vielen anderen sich getäuscht haben. Tja, Mensch, worauf warten Sie denn bloß? Und was machen Sie mit der erschütternden Erkenntnis, dass sich die Welt als solche um Ihre Warterei überhaupt nicht kümmert, dass die ihr recht herzlich scheißegal ist? Umsonst gewartet. Nur in diesem einen Fall, da stimmt es diesmal, nicht wahr? Diesmal aber wirklich, ich meine jetzt geht sie wirklich unter, die Welt. Nicht wahr? Diesmal haben wir einen direkten Draht zum Regisseur.

Ach, so viel vertane Zeit, und dabei gibt es so viele hilfebedürftige Menschen.

 

  • 19.11.2007

 

Weiß – Rot – Schwarz

eine weiße Stelle
ein weißer Stein
ein Stein – eine Fläche – ein Stein
fliegt auf mich zu
und hinterlässt
ein Stein
eine weiße Fläche
dann stürzt
rot in die weiße Fläche
und stürzt mich rot in das schwarze Loch
und fließt rot und zu Boden
in das schwarze Loch
dann bleibt eine Stelle
da wächst nichts mehr

(ts)

 

  • 24.11.2007

listen to me

 
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